Kalibergwerk

Das Kalibergwerk Vienenburg am Harz zerstört – Eisenbahndämme eingebrochen – Riesige Krater öffnen sich – Vienenburg gefährdet – keine Toten.

Kalibergwerk
Einsturzkrater

Diese und vergleichbare Kopfzeilen erschienen am 9. Mai 1930 in vielen Tageszeitungen, die über die Schreckensmeldungen berichteten, mit denen der Ort am Harly für kurze Zeit traurige Berühmtheit erlangte. Der amtliche Bericht, den die Goslarer Bergbehörde von der Katastrophe über die Vienenburger Kaliwerke herausgegeben hatte, lautete: „Am Donnerstag, dem 8. Mai, 11:30 Uhr ereignete sich auf dem Schacht I des Kaliwerks ein starker Laugeneinbruch auf der obersten Sohle. Gegen 14:30 Uhr ist die Lauge nach Schacht II weiter vorgedrungen. Der Versuch, die Zugangsstrecken zu Schacht II abzudämmen misslang. Die gesamte Belegschaft ist in Sicherheit gebracht worden“.
Bei der Erkundung einer Schlotte am Rand der Lagerstätte in der Frühschicht, brach plötzlich das Gebirge zwischen dem Hohlraum und dem Gipshut des Salzstockes ein. Dabei strömten so große Wassermassen in die Grube, dass jegliche Abdämmungsarbeiten scheiterten und die gesamte Belegschaft das Bergwerk fluchtartig über Schacht III verlassen musste, nur ein Pferd musste zurückgelassen werden. Innerhalb eines Tages bildete sich über der Einbruchstelle ein Krater von 100 Metern Durchmesser, 30 Metern Tiefe und einem Volumen von 450.000 m³. Dabei stürzte der Bahnkörper der Eisenbahnstrecke nach Langelsheim in die Tiefe und die Gleise hingen in der Luft. Der Zugverkehr wurde in der Folge mehrere Wochen unterbrochen und musste umgeleitet werden.

In der Mittagszeit des 8. Mai fing die Erde an zu beben, der Boden unter der Zuckerfabrik begann sich zu senken, knirschend riss das Mauerwerk auseinander. Zwei Stunden später stürzte dann der Schlammteich der Zuckerfabrik ein, der einen großen Krater hinterließ. Gegen 17 Uhr brachen große Teile der Erdoberfläche in der Nähe des Sieverschen Kies Teiches ein, heute Vienenburger See.
In den Tagen nach dem Unglück traten noch 17 weitere Erdfälle im Südosten Vienenburgs bis hin zum Weißen Ross auf. Unter anderem wurden der Vienenburger Güterbahnhof und die Zuckerfabrik erheblich beschädigt. Sämtliche Vienenburger Brunnen versiegten für einige Tage. An dem 8. Mai glich Vienenburg einem aufgeschreckten Ameisenhaufen, überall aufgeregte Menschen, die in großen Scharen hinaus zu den Stätten des Grauens und der Vernichtung zogen.
Krachend rollten vom Berg Gesteinsmassen und Felsblöcke herab
Straßenteile innerhalb der Gemeinde wurden gesperrt, es kam zu Erdrutschen in den Straßen. Rote Fahnen signalisieren: Achtung Gefahr. Die erfahrenen Vienenburger Bergleute waren sich stets der Gefahr eines Wassereinbruchs bewusst. Darum hatte man auch den alten Harzer Bergmannsspruch „Es grüne die Tanne, es wachse das Erz“- abgewandelt in „Es grüne die Tanne, es wachse das Salz, Gott halte uns allen das Wasser vom Hals“. Durch das schwere Unglück am 8. Mai war der Haupterwerbszweig in Vienenburg, die Kaliwerke, eingebrochen.
Über die Ausmaße, die diese durch Naturgewalt heraufbeschworene Katastrophe für Vienenburg, Wiedelah, Lengde, Beuchte, Immenrode, Weddingen, Lochtum, überhaupt für den gesamten östlichen Teil des Landkreises hatte, konnte man sich zur damaligen Stunde noch kein Bild machen. Ein Teil der Einwohnerschaft wurde arbeitslos, einige verzogen nach Bleicherode, dort fanden sie Arbeit im Kaliwerk, oder bei der Vienenburger Baufirma Sievers. Aber wirtschaftlich wirkte sich das Unglück für alle Kreise, besonders für Gewerbe und Handel schwerwiegend aus. Bis Dezember 1930 half ein Teil der Beschäftigten noch bei Aufräumungs- und Verfüllarbeiten mit. Anschließend wurde das Kaliwerk liquidiert und die Tagesanlagen auf Abbruch verkauft. Im Oktober 1929 betrug die Belegschaft 560 Personen, 250 aus Vienenburg, 108 aus Wiedelah, 35 aus Lengde, zehn aus Beuchte, 29 Immenrode und 117 aus Weddingen. 45 Jahre dauerte das Wirtschaftswunder in Vienenburg, allein der materielle Verlust der technischen Anlagen wurde seinerzeit auf 40 Millionen DM beziffert.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wuchs der Bedarf an Kalisalzen auf dem Weltmarkt stetig. 60 % der deutschen Kaliwerke lagen auf dem Gebiet der Neugegründeten Deutschen Demokratischen Republik (Kombinat Kali). Die Preussag verlor auf diese Weise ihre Werke Staßfurt und Bleicherode und besaß nur noch das Werk Buggingen. Daher entstanden 1950 Überlegungen zur Wiederinbetriebnahme stillgelegter Kaligruben, so auch des Kaliwerkes Vienenburg.
Für eine Wiederaufnahme des Bergbaus musste die Lagerstätte für die Betrachtung der Wirtschaftlichkeit neu bewertet werden. Infrage kamen nur die Bereiche der Kalilager westlich und unterhalb der abgesoffenen Gruben Baue. Dazu wurden nach entsprechenden Vorarbeiten in den Jahren 1952 bis 1954 insgesamt drei Bohrungen niedergebracht: Die Bohrung K1 lag zwischen den Schächten II und III und war 1209 Meter tief. Hier wurden Kalisalze in der bekannten Qualität nachgewiesen. Mit der Bohrung K2 an der Straße von Weddingen nach Beuchte wurden keine Kalisalze und mit der 865 Meter tiefen Bohrung K3 ein nur einen Meter mächtiges Carnallit-Flöz gefunden.
Unter der Maßgabe einer Jahresförderung von 1.000.000 Tonnen hätten die erbohrten Vorräte einen aufwendigen und kostspieligen Bau mindestens zweier neuer Schachtanlagen nicht gerechtfertigt. Nicht zuletzt hätten die überfluteten alten Strecken eine ständige Gefahr bedeutet. Damit ging die Euphorie und Hoffnung der Vienenburger Bevölkerung auf neue Arbeitsplätze im Bergbau in der strukturgeschwächten „Zonenrandregion“ verloren.
Der größte Erdfall ereignete sich 1960 nahe Vienenburg in der Okerniederung. Infolge des Abflusses der Oker in die Berggrube sank auch der Grundwasserspiegel beträchtlich. In Wiedelah versiegten alle Brunnen, und der normale Grundwasserspiegel stellte sich erst nach etwa drei Monaten wieder ein. Durch diese massive Grundwasserabsenkung mit verbundenen Erdbewegungen wurden in Vienenburg viele Gebäudeschäden verursacht. Im Herbst 1993 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Schachtes II ein Haus abgerissen, weil Gutachter weitere Bergschäden befürchteten.

Heute sind die ehemaligen Zechenplätze der beiden Schachtanlagen I und II als eingeebnete Gelände am Waldrand des Harly deutlich aus der Ferne erkennbar und werden als Wohnsiedlungen nachgenutzt. Es blieben einige wenige Gebäude erhalten, die aber nicht eindeutig als ehemalige Betriebsgebäude eines Bergwerks zu erkennen sind.
Schacht I lag an der gleichnamigen Straße nordöstlich vom Erholungsgebiet Vienenburger See. Nach einer scharfen Rechtskurve führt die Straße auf das längliche Bergwerksgelände in einer nordwest-südöstlichen Ausrichtung. Am markantesten ist das ehemalige Verwaltungsgebäude im Süden. Ihm gegenüber, auf der anderen Straßenseite, liegt das deutlich erkennbare abgedeckte Schachtmundloch.
Im Osten existieren noch zwei Werkstattgebäude. Etwas oberhalb des Zechenplatzes im Wald befindet sich die ehemalige Direktorenvilla. In den Einbruchskrater von 1930 baute die Firma Gläser eine Fabrik für Motorradverkleidungen.
Schacht II liegt nordöstlich des Klostergutes Wöltingerode. Auf dem weitläufigen Gelände der Förderanlage und der Chlorkaliumfabrik stehen heute verstreut nur noch einige wenige kleinere Gebäude, unter anderem das ehemalige Labor. Der abgedeckte Schacht ist zwar noch zu sehen, ist aber zwischen dem Bewuchs schwierig aufzufinden. Von Schacht III sind außer dem Bahndamm der Anschlussbahn keine Überreste erhalten.

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